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Pferdewohl im Spitzensport – über feines Gespür und schwere Entscheidungen

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Ich war im September auf der Weltmeisterschaft im Distanzreiten. Einem Sport in dem es um Ausdauer, Taktik und Teamwork geht, denn eine Strecke über 160 km im Gelände zu bewältigen erfordert vollen Einsatz.

Inmitten der französischen Einöde in Monpazier fand dieses Jahr die Weltmeisterschaft statt. und was für eine. Die besten Pferde und Reiter aus der ganzen Welt, reisen an, um ihre Kräfte zu messen und die Ergebnisse von jahrelangem Training zu zeigen. Die Veranstalter zeichnen sich aus durch hochprofessionelle Organisation, fantastische Streckenführung sowie optimale Versorgung von Pferd und Reiter. Alles was man sich nur wünschen kann. Und ich – mitten drin. Ich durfte Jana Kupper, eine Profireiterin aus Österreich unterstützen, die ihre Pferde in Portugal trainiert und mit ihrem Pferd Talisman el Takko bei der Meisterschaft startete. Und von diesem Erlebnis möchte ich euch heute erzählen. Am Ende der Geschichte verstehst du, was Pferdewohl im Leistungssport bedeutet, wie Profireiter mit Herz und Verstand ihrem Beruf nachgehen und warum es essentiell ist auf sein Gefühl zu hören und schwere Entscheidungen zu treffen.

Start des Rennens ist um 5:30. Es ist dunkel und es schüttet wie aus Kübeln. Fast 120 Pferde sind am Start und stellen sich an der Startlinie auf. Man hört die Lautsprecherdurchsage, die den Countdown zählt und sieht die Pferde im Licht der Stirnlampen der Reiter dampfen. Was für ein Gefühl, als diese Spitzenpferde an mir vorbei galoppieren, während ich auf der anderen Seite des Zaunes stehe. Nachdem die ersten Reiter auf der Strecke sind, laufen wir zum Auto, um den ersten Crewpoint zu erreichen. Die Aufgabe des Teams ist es, den Reitern unterwegs Wasser zu reichen, damit die Pferde trinken können und gekühlt werden. Es regnet stark , überall ist Matsch und es ist stockfinster, nur Blitze erhellen die Nacht. Ich stehe an der Strecke und warte auf Jana, als die erste Gruppe kommt. Mindestens 30 Pferde donnern an mir vorbei, vielleicht einen halben Meter von meinen Turnschuhen entfernt und ich versuche das richtige Pferd zu entdecken. In der Dunkelheit, halte ich meine Wasserflaschen hoch, mit der Hoffnung, dass Jana mich sieht, weil ich geblendet von den Stirnlampen keine Chance habe die richtige Reiterin zu finden. Im Galopp schnappt sie sich die Wasserflaschen und leert sie über ihr Pferd, um den Körper abzukühlen.

Als nach 1,5 Stunden die ersten Lichtstrahlen auftauchen, haben die Reiter die erste Runde fast absolviert. Die Strecke ist herausfordernd, um es nett auszudrücken. Auf und Ab durch Wald und Wiese und überall Matsch und rutschige Stellen. Die Pferde klettern einen Meter hinauf und rutschen gefühlt zwei wieder hinunter. Und das Ganze im strömenden Regen. Aber Pferd und Reiter lassen sich nicht aufhalten. Die Profis wissen wie man solche Schwierigkeiten meistert und dirigieren ihre Pferde gekonnt durchs Gelände. Jana beendet die erste Runde und stellt Talisman dem Tierarzt vor. Diese Kontrollen sind verpflichtend für alle Reiter und stellen sicher, dass die Pferde gut durch das Rennen kommen, denn nur, wenn sie die Kontrolle bestehen dürfen sie in die Pause und dann weiter auf die nächste Runde.

Die Tierärzte sind überzeugt von Talismans Fitness und es geht weiter. Aber Jana hat ein Gefühl, dass heute etwas nicht stimmt. Er meistert die Strecke hervorragend. Rutscht kein einziges Mal aus und während die Pferde um ihn herum stolpern setzt er seine Hufe gekonnt an die richtigen Stellen, um im Gleichgewicht zu bleiben. Jana weiß genau, wie sie ihn bei dieser Aufgabe unterstützt und ihn durch die schwierigen Anstiege und Abhänge lenkt. Bei der dritten Tierarztkontrolle braucht Talisman länger als gewöhnlich, um sich von der Strecke zu erholen und sein Puls ist erst nach 10 Minuten im erforderlichen Bereich. Die Tierärzte haben, aber keine Bedenken, denn er ist innerhalb der vorgeschriebenen Zeit im Vetgate und zeigt auch sonst keine erkennbaren Anzeichen von Erschöpfung. Doch Jana kennt ihn besser. Er braucht nie so lange, um sich zu erholen und ihr gefällt sein Ausdruck in den Augen nicht. Die Turnier-Vets fragen dreimal nach, ob sie sich sicher ist und auch ihre befreundete Tierärztin schlägt vor, noch weiterzumachen, doch Jana vertraut auf ihr Gefühl. Irgendwas stimmt nicht mit diesem Pferd.

Für diese Meisterschaft hatten die beiden eine mehrtägige Anreise hinter sich, nach jahrelanger Vorbereitung, in die unendlich viel Zeit und Geld geflossen sind. Drei Runden auf dieser schwierigen Strecke, und ein Pferd, das noch super fit aussieht. Doch Jana beendet das Rennen – eine Entscheidung gegen den Rat der offiziellen Turniertierärzte, allein aufgrund eines Gefühls. Das erfordert Mut. Mut und Vertrauen in die eigene Erfahrung und Fähigkeiten. Eine harte Entscheidung, denn es ist unglaublich frustrierend, ein Rennen so zu beenden. Aber Jana steht felsenfest hinter ihrer Entscheidung – zum Wohl des Pferdes. Weil sie auf sich selbst vertraut und weiß, dass dieses Pferd alles für sie gibt. Talisman ist so stark, dass er erst aufhört, wenn es ihm wirklich schlecht geht. Er zeigt seine Schmerzen erst, wenn er nicht mehr anders kann. Deshalb braucht er eine Reiterin, die subtile Veränderungen erkennt und den Mut hat, darauf zu reagieren.

Am nächsten Tag zeigt der Bluttest, dass er einen Kreuzverschlag erlitten hätte, wenn er weitergegangen wäre. Fakten, die beweisen, dass Janas Gefühl richtig war. Durch ihre Entscheidung hat sie ein gesundes Pferd, das nun keine Medikamente braucht, weil er nicht über seine Grenzen gedrängt wurde.

Ich habe an diesem Wochenende gelernt, dass wir als Reiter verpflichtet sind unser Gefühl zu schulen. Denn das kann unsere Pferde vor viel Leid bewahren. Wenn wir nicht die Fähigkeit haben unser Pferd zu verstehen und zu merken, wenn etwas nicht stimmt, dann können wir ihm nicht helfen. Deshalb haben wir die Verantwortung so viel Erfahrung zu sammeln wie möglich. Unser Gefühl immer weiter zu verfeinern und die subtilen Veränderungen unserer Pferde wahrzunehmen. Und den Mut und das Vertrauen zu entwickeln hinter diesem Gefühl zu stehen. Ich bin unglaublich dankbar für diese Erfahrung. Jana lebt und atmet für ihre Pferde. Sie trifft harte Entscheidungen für das Pferdewohl, scheut keine Mühen und geht ihren Weg mit Mut, Bescheidenheit und Stärke. Eine Inspiration aus dem Profisport für alle Pferdebesitzer.

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